Meinung: Warum der eigene Weg am Ende der erfolgreichste ist

26.07.2022

Der Wunsch nach dem schnellen Erfolg, einem Jahresgehalt von mindestens einer Million Euro mit Mitte zwanzig und Business Class Flügen rund um die Welt scheint immer mehr Studierende in die Wirtschaft zu ziehen. Dazu sollen auch Privatpartys in den angesagtesten Clubs, Afterhour Drinks auf den prestigereichsten Dachterrassen Frankfurts, Münchens oder vielleicht auch doch gleich New Yorks kommen – weil wenn schon, denn schon.

IB, Consulting, PE, Start-Up (aber dann bitte ein Unicorn) – Begriffe, die die Träume scheinbar wahr werden lassen. Erfolg scheint greifbar nah zu sein, wenn man bestimmte Dinge beachtet, die richtigen Praktika gleich im ersten Semester wählt, nie aufhört für das Studium zu lernen und Urlaub nur noch aus den Erzählungen anderer, nicht so ambitionierter Studierender kennt.

 

Doch worauf kommt es denn nun an, um diese hochtrabenden Ziele zu erreichen?

Und hier kommt der Schnitt – diese Ziele, diese Versprechungen, die Wünsche, all die Dinge, die im Internet auf verschiedenen Webseiten oder Instagramprofilen immer und immer wieder propagiert werden, sind zumeist (wirklich zumeist!) Luftschlösser, traumtanzende Idealismusblasen.

Ja natürlich – es gibt sie, die Personen auf dieser Welt, die es tatsächlich schaffen, Jahresgehälter in schwindelerregender Höhe mit Mitte zwanzig abzurufen. Die vielleicht sogar First Class um die Welt fliegen und sich auf Privatpartys mit Dom Pérignon übergießen. Aber die Regel, die Norm oder sogar eine erwähnenswerte Menge an Menschen ist das nicht.

 

Die meisten ambitionierten Studierenden, die es in die prestigereichen Jobs nach ihrem Studium schaffen, an den besten Universitäten der Welt ihren MBA machen, verdienen keine Millionen (nicht einmal ansatzweise so viel). Zumeist sind die Arbeitstage so intensiv, dass vielen die Entscheidung zwischen Afterhour Party oder Schlaf relativ leicht fällt (Spoiler: es sind nicht die Partys, die oft gewählt werden). Geburtstage von Familienmitgliedern oder Partner*innen (auch Freund*innen, wenn für diese Zeit ist) müssen manchmal auch der Arbeit weichen. Ein Leben, wie es TikTok oder Instagram, wie es Foren im Internet suggerieren, ist das nicht.

Das bedeutet keineswegs, dass es keinen Spaß machen würde – viele lieben ihren Job und die Möglichkeiten, sie lieben die Herausforderungen und das soziale Umfeld – ganz im Gegenteil. Nur die Luftschlossblasen, die das Internet erfand, die findet man dort nicht. Und deswegen ist es so fahrlässig, so tiefgründig fragwürdig, Menschen das Gefühl zu geben, dass es nur diese eine Art von Erfolg gibt, diese eine Art von Zielen.

 

Und nun – nach all dem Blabla – was bleibt bestehen?

Fragen und Antworten bleiben. Und weil die Ängste und Vorstellungen teilweise sehr tiefgreifend sind, hier ein kleiner Einblick:

Mein Abischnitt ist nur 1,8. Habe ich damit überhaupt noch Chancen?

Chancen auf was? Eine Karriere, die Dich glücklich macht und ausfüllt? Die Möglichkeit, genug Geld zu verdienen, um ein schönes Leben zu haben? Wer gibt Dir denn das Gefühl, dass der Schnitt von 1,8 nicht reichen würde? Selbstverständlich gibt es für einige Studiengänge NC, selbstverständlich ist eine 1,7 besser als eine 1,8, aber eine Blockade, ein Hindernis sollte dieser Schnitt in keinem Fall sein. Wäre der Schnitt eine 3,8, dann sähe die Welt deutlich anders aus, aber alles mit einer 1 vor dem Komma ist ein wundervoller Schnitt (was nicht – wirklich nicht! – bedeutet, dass die Schnitte mit einer 2 vor dem Komma eine traurige Zukunft haben und die mit der 3 gar keine mehr. Schöne Karrieren gibt es für jeden Schnitt)

 

Muss ich mit einem Abischnitt von 1,5 meine MBA Ziele für eine Top Business School begraben?

Nein – der Abischnitt spielt in der Regel keine Rolle. Wirklich nicht. Ehrlich.

 

Muss ich vor dem Studium schon mit Praktika beginnen?

Nein. Einfach nur nein. Völlig irrelevant. Falls Du Lust hast, Praktika zu machen und Du in verschiedene Organisationen schnuppern willst, dann go for it, aber für Deine Karriere musst Du wirklich nicht vor dem Studium bereits die ersten Erfahrungen gesammelt haben.

 

Wenn ich im ersten oder zweiten Semester keine Praktika mache, verbaue ich mir meine Zukunft?

Nein. Es ist weniger entscheidend, wann Dein erstes Praktikum gemacht wurde oder wie viele exakt (wir hören immer von exakt vier Praktika – als ob die Personalabteilung zählen und alle Bewerbungen unter vier Praktika in den Papierwolf werfen würde), sondern mehr wo und welche Erfahrungen Du dabei gesammelt hast.

 

Alle anderen gehen ins Audit – muss ich das auch, obwohl ich keine Lust habe oder bekomme ich dann später keine guten Stellen mehr?

Nein, musst Du nicht. Wichtig hier wäre, dass Du Dich fragst, was Du eigentlich möchtest. Wo möchtest Du in fünf, in zehn und in fünfzehn Jahren stehen? Welche Themen möchtest Du vorantreiben, womit Dich täglich befassen? In welchen Ländern möchtest Du arbeiten und welches Privatleben ist Dir wichtig? Und dann, wenn Du Dir diese Fragen beantwortet, einen Karriereweg für Dich gefunden hast, siehst Du, ob Du dafür wirklich ein Auditpraktikum benötigst. Vermutlich nicht.

 

Und noch eines: Wenn Du immer alles genauso machst, wie alle anderen, dann wird Dein Profil genauso sein, wie das der anderen. Deine Persönlichkeit wird nicht sichtbar sein und Du wirst Entscheidungen getroffen haben, die Dich nicht zufrieden gemacht haben. Und dann, wenn es an die entscheidenden Bewerbungen geht, dann wird Deine Bewerbung neben vielen anderen liegen, die nahezu identisch sind. Und hier kommt es dann auf Feinheiten an, auf die minimal bessere Note, das bessere Anschreiben oder andere Kleinigkeiten. Bist Du aber konstant Deinen Weg gegangen, dann wird eine Bewerbung neben all den anderen gleichen liegen, die sich immens unterscheidet und so nicht nur hervorsticht, sondern auch vielleicht mehr Erfolg hat.

 

Muss ich wirklich in den ersten Jahren auf Urlaub verzichten?

Wer erzählt das denn bitte? Urlaub und jede andere Erholung sind notwendig, um weiterhin konstant funktionieren zu können. Jeder Körper hat nur begrenzte Kapazitäten, natürlich sind junge Körper leistungsfähiger als ältere, aber das bedeutet nicht, dass sie alles in Unmengen leisten können. Vielleicht geht das einige Jahre gut, aber irgendwann merken viele, die nicht auf ihre Körper und sich achteten, dass Ängste sich einschleichen, Müdigkeit immer häufiger auftritt, Anspannung den Tag dominiert und auch die Kraft für zusätzliche Dinge immer weniger wird. Und das ist nur der Anfang.

Daher: mache Urlaub, versuche genug zu schlafen, iss gesund, mach Sport. Und lass Dir nicht erzählen, dass High Performer die Nächte durcharbeiten aus Spaß an der Freude und alle, die das nicht tun, Low Performer wären.

Oft wird vergessen, dass ein Ziel zu erreichen, nicht das Ziel ist. Sondern es zu wahren. Eine Karriere ist kein Sprint, sondern ein Marathon – und einen Marathon läuft man nicht in Höchstgeschwindigkeit, denn dann scheidet man sehr schnell aufgrund von Erschöpfung aus.

 

Wie werde ich erfolgreich?

Indem Du Dich mit Dir auseinandersetzt und Dich fragst, was Erfolg für Dich bedeutet. Viele unserer Klient*innen setzen sich damit auseinander und kommen auf unterschiedlichste Antworten. In der Regel wird Erfolg als das Erreichen von Zielen definiert. Da es sich um Dein Leben handelt, sollten es eigentlich auch Deine Ziele sein, die erreicht werden. Und diese können das Bereisen jedes Landes auf dieser Welt sein oder einen Job in einem Bereich zu bekommen, der Dir Spaß macht. Es kann bedeuten, Karriere und Privatleben zu vereinen oder jeden Tag zufrieden ins Bett zu gehen.

Erfolg ist individuell.

Ja, andere versuchen hier viel Angst und Druck zu machen, aber ich würde mal sehr gewagt behaupten, dass am Ende Deines Lebens nur Du es bewerten wirst und nicht ganz viele andere.

 

Ich habe Angst, nicht erfolgreich zu sein, wenn ich keine 150k Jahresgehälter in den ersten Jahren erhalte.

150k Jahresgehälter sind nicht normal. Das Durchschnittseinkommen in Deutschland liegt bei knapp unter 50k im Jahr pro Person. Studienabsolvierende erhalten im Durchschnitt knapp 45k pro Jahr. Im Internet wird viel Angst geschürt, vor allem unter Studierenden. Mach Dir bei solchen Dingen immer bewusst, dass es Angstmacherei ist, die ein Ziel hat und einfach nicht die Realität darstellt.

 

Also ist es einfach, in die Top Bereiche der Wirtschaft zu kommen?

Nein, das ist es definitiv nicht. Hier zählen so viele Faktoren, die wichtig sind. Aber nur, weil einer der Faktoren nicht erfüllt ist, bedeutet das auf keinen Fall, dass man erfolglos sein, dass man versagen oder niemals einen Job erhalten wird. Man braucht etwas Fingerspitzengefühl, einen guten Plan, die richtigen Fähigkeiten und Durchhaltevermögen. Auf Urlaube verzichten muss man aber nicht, ein 1,0 Abi benötigt man ebenfalls nicht und das Auditpraktikum kann gerne fehlen.

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